Web unter Palmen

Bericht von der WWW2002 in Honolulu (7.-11.5.2002)

Von Erik Wilde

Die jährliche World Wide Web Konferenz fand dieses Jahr vom 7.-11. Mai in Honolulu statt, auch diesmal also wieder tropische Verhältnisse, nachdem man vergangenes Jahr bereits in Hong Kong schwitzte. Zu den angenehmen Nebenerscheinungen dieser Ortsauswahl jedoch gehörte, dass der kürzeste Weg zwischen den beiden Veranstaltungsorten der Konferenz direkt über den Waikiki Beach führte. So viel zu einer gelungenen Auswahl des Konferenzortes... Abgesehen davon wurde natürlich auch inhaltlich wieder einiges geboten, nach einem Tutorial Day gab es drei Tage lang knapp 10 parallele Tracks als Hauptteil der Konferenz, und am letzten Tag folgte ein eher einfach organisierter Developers Day.

Die Tutorials am ersten Tag drehten sich um aktuelle Themen aus dem Bereich der Web-Technologien, wie Web Services, Web Engineering, SMIL, Semantic Web, Mobile Applications, Security, und Web Content Accessibility. Wie bei früheren WWW Konferenzen auch waren die Tutorials von sehr unterschiedlicher Qualität, einige waren glänzend vorbereitet und präsentiert, während andere deutliche inhaltliche und formale Schwächen zeigten. Mit der Bereitschaft, ein wenig zwischen verschiedenen Tutorials zu wechseln, liess sich aber auf jeden Fall einiges an nützlichen Informationen von diesem Tag mitnehmen, vor allem als Einführung in Themenbereiche, mit denen man sich zuvor vielleicht noch nicht so sehr auseinandergesetzt hatte.

Der eigentliche Konferenzbetrieb begann am Tag darauf mit der Keynote Speech von Tim Berners-Lee. Eventuellen Befürchtungen bei den Zuhörern, ein weiteres Mal über die Segnungen des Semantic Web zu sprechen, trat er gleich am Anfang entgegen, und hatte als Thema statt dessen die Bedeutung von Standards Conformance ausgewählt. Den Protokollstack seines Präsentationslaptops beschreibend, arbeitete er sich von der untersten Schicht (dem Ethernet-Kabel) über die gängigen Protokoll-Schichten (zunächst die Internet-Schichten, dann die Web-Technologien) nach oben, und konnte so sehr gut verständlich machen, dass Standards Conformance unabdingbar notwendig ist, um komplexe IT Architekturen bauen zu können. Insbesondere die Betonung der Tatsache, dass heutige Application-Level Standards wiederum als Grundlage für weitergehende Entwicklungen dienen werden, und deshalb auch bei diesen keine halben Sachen akzeptiert werden können, wird hoffentlich auf offene Ohren in einer Industrie gestossen sein, die es mit der Standards Conformance oftmals nicht besonders genau nimmt, während sie laufend neuen Technologien hinterherprogrammieren muss.

Dem einführenden Vortrag folgte das Hauptprogramm bestehend aus vielen parallelel Tracks, klassische Conference Papers, ein W3C Track (an dem über laufende Aktivitäten des W3C berichtet wurde), und eine ganzen Reihe an spezialisierten Tracks, die von Kernthemen des Web ("Web Engineering") bis hin zu eher nicht-technischen Themen ("Global Community Track") reichten. So war die Qual der Wahl erheblich, und aus dem reichhaltigen Programm die interessantesten Präsentationen herauszusuchen war gar nicht so einfach und erforderte einiges Literaturstudium vorab. Da würde man sich schon einmal eine Konferenz-Web Seite wünschen, die über das übliche hinausgeht und einige spezielle Features bietet, z.B. das Zusammenstellen eines eigenen Programmes und das Betrachten des Programmes in verschiedenen Ansichten (themenorientiert oder zeitorientiert).

Um sich einen Überblick über die bei der Konferenz diskutierten Themen zu verschaffen, empfiehlt sich ein Blick in die Proceedings, die komplett online vorliegen und auf der Web-Seite der Konferenz eingesehen werden können. Prominente Themen waren alle lose um das Semantic Web angesiedelten Aktivitäten, und insbesondere der Bereich Web Services und Web Engineering hatte grosse Zuwachsraten zu verzeichnen gegenüber dem letzten Jahr. Erstaunlich ist hier immer wieder der Kontrast aus Hype und Realität: Seit Monaten taucht das Thema Web Services immer wieder als einer der grossen Renner in den einschlägigen IT-Magazinen auf, jedoch befinden sich viele der zugrundeliegenden Standards noch in Entwicklung, oder sind gerade erst in einer ersten Version festgeschrieben worden. In mehreren Sessions zum Thema Web Services tauchte deshalb auch immer wieder ironisch die Frage auf, wer denn eigentlich schon mal einen Web Service benutzt habe, und wieviele es denn eigentlich bisher gebe (Antwort: "101, Google und 100 Temperaturkonvertierungsdienste von Fahrenheit nach Celsius oder umgekehrt"). Unbestritten war jedoch, das Web Services als Grundlage für lose gekoppelte Systeme eine bessere Grundlage bieten können als die auf einer eher enge Bindung ausgelegten älteren Architekturen für verteilte Systeme.

Am letzten Tag der Hauptkonferenz gab es am Morgen eine weitere Keynote Speech, diesmal von Pamela Samuelson, der angesehenen Spezialistin für IT-bezogene Rechtfragen von der University of California at Berkeley. Sie referierte über die kommenden Entwicklungen von DRM Systemen, und wies in diesem Zusammenhang besonders auf die drohende Hollings Bill hin, die in den USA momentan in der Diskussion ist und Hersteller von Consumer Electronics dazu verpflichten würde, DRM Mechanismen in ihre Geräte einzubauen. Auf eine (sehr unerfreuliche) Art ist dies die konsequente Fortsetzung des DMCA, aber es ist auch ein alarmierendes Zeichen dafür, wie stark die Gesetzgebung von Lobbyisten der Industrie gesteuert wird, und wie wenig Konsumenteninteressen Beachtung finden. Auch den Europäern steht in dieser Hinsicht ja noch so einiges bevor, so zum Beispiel in nächster Zeit die Umsetzung der ziemlich direkt vom DMCA abgeschriebenen EU-Direktive zum Urheberrecht ("Lex Bertelsmann").

Der abschliessende Developers Day verlief dann wieder ruhiger als die sehr gut besuchte Hauptkonferenz (ca. 700 Teilnehmer), nur noch ein Teil der Konferenzbesucher war anwesend, und das Gebotene war von durchwachsener Qualität. In einer Diskussion im Bereich Web Protokolle und Web Services wurde die Frage diskutiert, ob HTTP als universales Transportprotokoll geeignet sei, und ob in absehbarer Zeit eine Weiterentwicklung von HTTP zu erwarten sei. Einer der HTTP/1.1 Mitautoren vertrat die Ansicht, dass es keine Weiterentwicklung von HTTP geben werde (die Liste der fehlgeschlagenen Versuche ist mittlerweile recht lang), und dass sich über kurz oder lang vielleicht ein anderes Protokoll etablieren werde, dieses dann aber ein fundamental anderes Kommunikationsmodell als das simple Request/Response-Prinzip von HTTP implementieren werde. Deutlich wurde bei dieser und den folgenden Diskussionen Zu Web Services auch hier wieder, dass dieser Bereich momentan noch sehr stark in Bewegung ist, und die momentane Situation sich noch stark ändern wird, bevor (und falls) Web Services eine etablierte Technologie werden.

Wie schon in früheren Jahren ist die WWW-Konferenz eine einzigartige Möglichkeit gewesen, sich über verschiedenste Entwicklungen im Bereich des WWW zu informieren, und mit anderen Interessierten aus aller Welt zusammenzutreffen. Die nächste WWW-Konferenz findet vom 20.-24. Mai 2003 in Budapest statt.

Links:
Proceedings: http://www2002.org/CDROM/

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